Songwriter Jesper Lindell im Interview

Jesper Lindell Photo by Lina Nylander

Das beste Americana-Album dieses Jahres, das nicht aus Amerika stammt? Grund genug, beim Schweden Jesper Lindell nachzufragen.

Interview von Werner Herpell

„Von dieser Musik kann man nicht genug bekommen“, schrieb der geschätzte Kollege Gérard Otremba erst gestern in seiner Review zum Album „Before The Sun“ von Jesper Lindell (VÖ 01.03.2024). Und recht hat er, denn tatsächlich dürften die zehn Lieder (eines davon eine Thin-Lizzy-Coverversion) genau ins Beuteschema vieler S&B-Leser passen, ja in ihr Herz treffen: Folkrock, Southern Soul, Country- und Westcoast-Pop, Blues – also durchweg Sounds unter der großen Americana-Flagge – verbindet dieser tolle Singer-Songwriter aus der schwedischen Provinz zu einer wunderbar warmherzigen Platte, die mit der starken Konkurrenz aus den Staaten und Kanada locker mithalten kann.

Wer also „von dieser Musik nicht genug bekommen“ kann und jetzt mehr über Jesper Lindell erfahren möchte, sollte hier weiterlesen. Sounds & Books hat den 30-Jährigen über seine musikalischen Prägungen und Entwicklungen, seine Vorbilder und natürlich die Songs des meisterlichen „Before The Sun“ (per Track-by-Track) befragt.

The Band als unerschöpfliche Quelle

Hallo Jesper, es ist super, dieses Interview mit dir direkt vor der Veröffentlichung deiner neuen Platte zu führen. Zunächst einmal meine herzlichsten Glückwünsche – „Before The Sun“ könnte das beste Americana-Album dieses Jahres sein, das nicht aus Amerika stammt. The Band, Van Morrison, Otis Redding, Southern Soul, der Blues – du verbirgst deine Einflüsse nicht, oder? Welcher davon ist am wichtigsten?

Jesper Lindell: Danke vielmals! Haha, ja, das tue ich, nehme ich an. Ich denke, die Gruppe, zu der ich immer wieder zurückkehre, ist The Band. Für mich ist ihre Musik eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Und ich werde nie müde, sie zu hören.

Stört es dich eigentlich, wenn der deutsche „Rolling Stone“ dich einen „Retro-Soul-Enthusiasten“ nennt? Denn „retro“, das könnte ja als Synonym für „altmodisch“ oder „fade nostalgisch“ gemeint sein. Wie würdest du selbst den Sound von Jesper Lindell beschreiben?

Jesper Lindell: Ach nein, das stört mich überhaupt nicht. Aber ich fühle mich dadurch auch nicht geschmeichelt, denke ich. Ich versuche jedenfalls nicht, das Rad neu zu erfinden mit der Musik, die ich schreibe. Und ich bin mir sehr wohl bewusst, dass die Leute denken könnten, es sei altmodisch oder nur ein Abklatsch von etwas, das in den 60ern oder 70ern gemacht wurde. Aber das ist mir eigentlich egal, denn ich mache nur die Musik, die ich liebe, mit Leuten, die ich mag, und das ist für mich das Einzige, was wirklich zählt.

Start mit Heavy-Rock

Wann hast du deine Liebe zu amerikanischer „Roots-Musik“ wie Folk, Country, R&B und Soul entdeckt? Und wo hast du stilistisch als Musiker angefangen?

Jesper Lindell: Das war definitiv, als ich zum ersten Mal den Film „The Last Waltz“ mit The Band gesehen habe. Da hat es in mir Klick gemacht, würde ich sagen. All diese großartigen Musiker, die diese Songs spielten, waren wie Magie für mich. Aber ich habe erst einige Zeit später angefangen, Musik zu machen. Und ich bin als Bassist in einer Heavy-Rock-Band gestartet und stand in meinen frühen Teenager-Jahren mehr auf Thin Lizzy als auf The Band. Das ist auch einer der Gründe, warum wir uns entschieden haben, mit „Honesty Is No Excuse“ einen Lizzy-Song für diese Platte einzuspielen.

Es gibt ja noch mehr großartige Americana/Folkrock-Künstler aus Schweden: Christian Kjellvander, Nicolai Dunger, Kristian Matsson (The Tallest Man On Earth) oder Kristofer Aström zum Beispiel. Was verbindet dein Heimatland mit dem guten alten ländlichen Amerika, an das diese Songs oft erinnern?

Jesper Lindell: Das bin ich schon oft gefragt worden, doch ich weiß nicht, ob ich eine wirklich gute Antwort darauf habe. Aber ich denke, die Schweden nehmen viel von der amerikanischen Kultur auf, und wir sind hier im Allgemeinen ziemlich gut in der englischen Sprache – ich denke, das hilft. Und Americana ist für mich ein Genre, das sehr auf die Arbeiterklasse ausgerichtet ist, auch das kommt bei vielen Schweden gut an.

Jesper Lindell steckt viel Herzblut in „Before The Sun“

Wie hast du „Before The Sun“ entwickelt, mit all diesen großartigen Arrangements, all den Bläsern, den Vintage-Keyboards und Gitarren? Wem gebührt der Hauptverdienst für dieses opulente Kunstwerk?

Jesper Lindell: Wir haben es fast zeitgleich mit dem Vorgänger „Twilights“ in meinem Studio in Brunnsvik, gleich außerhalb meiner Heimatstadt Ludvika, aufgenommen. Und der Hauptverdienst gebührt allen Mitgliedern der Band und meinem Co-Produzenten Björn Pettersson, die ihr ganzes Herzblut in dieses Projekt gesteckt haben.

Lass uns über deinen Gesang sprechen. Der klingt absolut großartig – so „von Herzen“, so gefühlvoll, mit einem 60er/70er-Jahre-Vibe. Hattest du schon immer diesen Gesangsstil? Und wen bewunderst du als Sänger am meisten?

Jesper Lindell: Ich war nicht immer da, wo ich heute stimmlich bin. Ich habe viel geübt und bin einfach erwachsen geworden, um hierher zu gelangen. Dies sind einige meiner Lieblingssänger: Van Morrison, Ray Charles, Louis Prima, Elvis Presley, Betty Harris, Richard Manuel, Levon Helm, Rick Danko, Etta James, Karen Dalton, Jeff Buckley, Tom Waits, Neil Young. Um nur ein paar zu nennen.

Ein „Track-by-Track“ von Jesper Lindell

Dann lass uns „Before The Sun“ jetzt mal „Track-by-Track“ durchgehen. Bitte beschreibe und charakterisiere die Songs, die dir am wichtigsten sind, oder auch alle zehn.

Jesper Lindell: Okay, gern.

„One Of These Rainy Days“: Für mich ist dies ein erbaulicher Song über ein textlich nicht so erbauliches Thema. Die Musik ist inspiriert von Van Morrison und Bob Dylan. Der Text ist inspiriert von einem schwedischen Lied namens „Hopplös Blues“, oder „Hopeless Blues“ auf Englisch, von Cornelis Wreesvijk.

„Before The Sun“: Wenn ein Song auf dieser Platte von The Band inspiriert wurde, dann dieser. Textlich geht es um einen Mann, der vom Pech verfolgt ist und nicht wirklich einen Ausweg zu finden scheint. Es macht immer Spaß, diese Art von Geschichten zu schreiben und zu versuchen, sich selbst und sein Leben darin einzuweben.

„Never Gonna Last“: Ich habe diesen Song auf dem Höhepunkt der Pandemie geschrieben, als alles so hoffnungslos erschien und die Rückkehr zu etwas Normalem so weit entfernt schien. Also schrieb ich ihn, um mir zu sagen, dass ich positiv bleiben und das Beste aus der Situation machen sollte.

„Good Evening“: Ein Gute-Laune-Lied, inspiriert von Louis Prima, weil es mich immer glücklich macht, wenn ich seine Musik höre. Buona sera!

Schwere Themen und Gute-Laune-Lieder

„A Little Light In The Dark“: Während der Pandemie hatte ich eine Nierentransplantation, und ich fühlte mich 200 Jahre alt, weil ich davor 7 Monate lang an der Dialyse war. Also wollte ich einen Song schreiben, der aus der Perspektive eines alten Mannes zu sein scheint. Musikalisch ist er natürlich von Ray Charles inspiriert.

„Howlin“: Auch ein Gute-Laune-Song, inspiriert von Elvis aus den 70ern. Das ist vielleicht der albernste Text auf der Platte, aber ich mag ab und zu alberne Texte.

„A Strange Goodbye“: Meine Großmutter hatte Alzheimer, und ich wollte ein Lied für sie schreiben. Nicht unbedingt über ihr Leben direkt, aber sie kommt in dem Lied sicher vor. Daher ist dies wahrscheinlich das Lied, das mir am meisten bedeutet. Und Kassi Valazza hat ihren Part in diesem Lied wunderbar gesungen.

„Honesty Is No Excuse“: Einer meiner absoluten Lieblingssongs von Thin Lizzy, den wir zu einer Art Merry-go-round-Song gemacht haben. Aber es ist ziemlich cool geworden.

Das Brunnsvik-Gefühl in einem Song

„Brunnsvik“: Das ist ein Ort, an dem ich aufgewachsen bin, und ich wollte einen Song schreiben, der einfach das Gefühl dieses Ortes einfängt. Dort habe ich mein Studio, und wir hatten früher Pferde, die direkt bergab von dort standen. Es gibt auch einen See, 500 Meter vom Studio entfernt, in dem wir im Sommer zwischen den Aufnahmen schwimmen gehen. Mein Zufluchtsort.

„Do Me In“: Der letzte Song auf der Platte und der einzige Song, den ich im Falsett singe. Ich würde sagen, er ist musikalisch von Neil Young inspiriert. Und er ist einer meiner Lieblingssongs von allen.

Jesper Lindell plant Herbst-Konzerte

„Before The Sun“ ist dein drittes Album, du warst in Deutschland bisher nicht so bekannt. Erwartest du, dass du jetzt ein größeres Publikum erreichst?

Jesper Lindell: Ich hoffe sehr, dass wir mit diesem Album ein breiteres Publikum erreichen können und dass wir deswegen mehr Shows in Deutschland spielen können.

Wie wichtig ist das Touren für euch, besonders nach der Pandemie? Werdet ihr dieses Jahr in Deutschland spielen?

Jesper Lindell: Ich liebe es zu touren, auch wenn es manchmal harte Arbeit ist. Aber ich freue mich wirklich darauf, das deutsche Publikum zu sehen, da wir im Herbst zu euch kommen werden.

Vielen Dank, Jesper. Viel Glück und alles Gute für dich!

Jesper Lindell: Danke dir!!!

Das Album „Before The Sun“ von Jesper Lindell erscheint am 01.03.2024 bei GG Records/Bertus. (Beitragsbild von Lina Nylander)

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